Tiefe, spannungsvolle Kulturgeschichte
„Da fiel mir auf, wie die Gegend so lieb, das Land! Der Ettersberg! Goethe
In den Jahren 1706 bis 1712 lässt der Weimarer Herzog Wilhelm Ernst auf den Grundmauern eines Augustinerchorherrenstifts von Baumeister Johann Mützel ein sprödes Jagdschloss errichten. Johann Sebastian Bach musiziert im Festsaal des Alten Schlosses. Das extravagante Neue Schloss (Corps de Logis) vollendet um 1740 die barocke Anlage.
Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807) wählt nach dem Regierungsantritt (1775) ihres Sohnes Carl August (1757–1828) Schloss Ettersburg als Sommersitz. Um das Schloss entsteht eine ansehnliche Parklandschaft. Noch heute beeindruckt der große, alternde Tulpenbaum vor dem Gewehrsaal. Die Kunst und die Genies halten Einzug auf Ettersburg. Johann Wolfgang Goethe, Johann Gottfried Herder, Corona Schröter, Christoph Martin Wieland u. v. m. sind illustre Gäste auf Schloss Ettersburg. Es wird musiziert, gelesen, getanzt, geliebt. Der Künstlerkreis auf Ettersburg wird als „Musenhof“ berühmt. Anna Amalia lässt einen Theatersaal im Festsaal des Alten Schlosses einrichten, das seit dem Schlossbrand von 1774 keine feste Spielstätte mehr hat. Goethe führt auf Ettersburg eigene Theaterstücke auf, so im Sommer 1779 „Iphigenie auf Tauris“ ; Goethe selbst spielt den Orest.
Angezogen von der kreativen Ruhe, die von Ettersburg ausgeht, kommt Friedrich Schiller 1800 in das Schloss, um seine „Maria Stuart“ zu beenden. Zu einer „Kaiserjagd“ treffen sich auf Schloss Ettersburg 1808 u. a. Zar Alexander I. und Napoleon I.
Dank Großherzog Carl Alexander und seiner Gattin, der niederländischen Prinzessin Sophie, wird Schloss Ettersburg Mitte des 19. Jahrhunderts erneut zum ausstrahlenden Ort künstlerischer Begegnungen. Die intellektuelle Elite der jungen Weimarer Gesellschaft versammelt sich hier. Wieder wird im Zauberschloss gedichtet, geträumt, geschrieben, gespielt, geplant, entworfen.
Dem kreativen Dasein Franz Liszts, Hans Christian Andersens, Emanuel Geibels, Friedrich Hebbels und vieler anderer verdankt Schloss Ettersburg eine weitere Blüte. Der 1844 zum Weimarer Hofgärtner berufene Eduard Petzold wird beauftragt, den Schlosspark „englisch“ umzugestalten. Dessen Lehrmeister Hermann von Pückler-Muskau legt 1845 den bis zur Kuppe des Berges reichenden Schlag an. Der Landschaftspark Ettersburg ist ein herausragendes Exempel für die landschaftskünstlerische Kraft jener Zeit.
1919 geht das Schloss Ettersburg in den Besitz des Landes Thüringen über. Der Verbund der deutschen Landerziehungsheime pachtet das Haus und eröffnet eine reformpädagogische Herman-Lietz-Schule mit Internat für die Mittelstufe. Auch Wernher von Braun (1926–28) und Wolf Jobst Siedler sind hier Schüler.
Durch den Bau des NS-Konzentrationslagers Buchenwald wird Schloss Ettersburg 1937 mit einem grauenvollen Nachbarn konfrontiert werden. Ab 1945 dient das Schloss als Offiziersschule, später als stalinistische Justizschule und zuletzt als Altersheim. Die Gebäude stehen ab 1979 leer und verfallen.
Nach der friedlichen Revolution 1989/90 gründeten kultursinnige Bürger das Kuratorium Schloss Ettersburg e. V. und sorgten für eine kulturelle Belebeung des ruinösen Ensembles. Seit 1998 ist das Schloss Teil des UNESCO-Weltkulturerbes „Klassisches Weimar“. 2005 stellt das gemeinnützige Bildungswerk BAU Hessen-Thüringen e. V. der Öffentlichkeit seine Pläne vor, Schloss Ettersburg von der Klassik Stiftung Weimar für 55 Jahre zu pachten, umfassend zu sanieren und einer neuen, und zwar komplexen Nutzung zuzuführen, die die Tradition des Ortes und moderne Ansprüche verbindet.
Im Februar 2008 wird das renovierte Schloss nach nur eineinhalbjähriger Sanierung übergeben. Heute ist auf Schloss Ettersburg die Bauhaus Akademie Schloss Ettersburg gGmbH zu Hause, das Schloss dient als anspruchsvolles Tagungshotel, hat eine hauseigene Gastronomie, 28 Zimmer sind individuell mietbar. Das Kultur-Programm ist vielfältig und ambitioniert.
Der 17. Juni 1953 und das "Richterinternat Max Fechner" Schloss Ettersburg
Am 1. September 1949 richtet das Ministerium für Justiz des Landes Thüringen in Ettersburg eine Volksrichterschule ein. 1952 übernimmt das Justizministerium der DDR die Schule und führt sie weiter unter dem Namen „Richterinternat Max Fechner“. Der Name wird Mitte 1953 getilgt. Die neue Justizministerin Hilde Benjamin besucht „gelegentlich“ Ettersburg. Nach dem 13. August 1961 muss das Richterinternat einem Altersheim weichen, das aus dem Sperrgebiet bei Eisenach nach Ettersburg umgesiedelt wird.
Max Fechner (1892–1973) wurde 1949 erster Minister für Justiz der DDR. Der frühere Sozialdemokrat verkündete am 30. Juni 1953 im Zusammenhang mit der Verhaftungswelle nach dem niedergeschlagenen Aufstand vom 17. Juni 1953, dass nur Personen „die sich eines schweren Verbrechens schuldig machten“, bestraft werden würden. Ohne Nachweis werde es keine Verhaftung von Angehörigen der Streikleitung „auf bloßen Verdacht hin“ geben. Fechner wurde umgehend als „Feind des Staates und der Partei“ seines Amtes enthoben und angeklagt. Nach zweijähriger Untersuchungshaft wurde er vom Obersten Gericht zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Juni 1956 wurde Fechner aus der Haft in Bautzen II entlassen und im Zuge der Entstalinisierung rehabilitiert. Hilde Benjamin, Fechners Nachfolgerin als Justizministerin, war berüchtigt wegen ihre Prozessführung in politischen Schauprozessen. Von 1949 bis 1953 war sie Vizepräsident des Obersten Gerichts der DDR, sie leistete bereits 1950 in einem Prozess mit ihrer Auslegung des Art. 6 der DDR-Verfassung (der „Kriegs- und Boykotthetze“ zum „Verbrechen im Sinn des Strafgesetzbuches“ erklärte) als „unmittelbar anzuwendendes Strafgesetz“ einen wegweisenden Beitrag zur politischen Justiz. Benjamin war bei den Waldheimer Prozessen beratend beteiligt, später Vorsitzende Richterin in 13 politischen Prozessen. Sie fällte neben Zuchthausstrafen von insgesamt 550 Jahren und 15-mal lebenslänglich zwei Todesurteile. Während des Volksaufstands 1953 wurde die Inhaftierung der „Roten Hilde“ gefordert. Nach dessen Niederschlagung leitete Benjamin den „Operativstab“ des SED-Politbüros, dem die Überwachung sämtlicher politischer Strafverfahren oblag. Benjamin gehörte zur „Justizkommission“ des ZK der SED, die Max Fechners Verurteilung herbeiführte. Sie war bis 1967 DDR-Justizministerin und bis zu ihrem Tod im April 1989 Mitglied des Zentralkomitees der SED.